Hof

Blog der Hofkirche

Meditation im Labyrinth

Wie die Fußgängerbrücke am Bahnhof in Brandenburg zu einem Ort der Gegenwart Gottes werden könnte, indem man sie wie ein Labyrinth nutzt
Fotos: Thilo Maußer – Das Bild kann man anklicken. Man kommt das zu einer Fotogalerie mit Impressionen von dem Bauwerk.

Zugegeben, vor ziemlich genau drei Jahren ist dieser Artikel von mir schon mal im Gemeindebrief erschienen. Ursprünglich hatte ich ihn für die Rubrik „Blickpunkt Kirche“ in der MAZ verfasst.

Da es zur Zeit ja darum geht, geistliche Praxis ohne die Gemeinschaft der anderen zu erleben, möchte ich hier an die Möglichkeit erinnern, die Erfahrungen des Lebens in einem Labyrinth in die Gegenwart Gottes zu stellen. Ein einsamer Spaziergang sollte ggf. trotz Ausgangssperre möglich sein – so hoffe ich jedenfalls.

Deshalb ist auf der Titelseite ein klassisches Labyrinth abgebildet. Man geht hinein und ist eingeladen, bei jeder Wendung über eine Wendung seines Lebens nachzudenken, zu schweigen und Gott Raum und Zeit zu geben, in mein Leben hineinzusprechen, zu wirken, es zu verändern und es zu tragen.

Ich selbst hatte das in England kennengelernt. Dort war der Weg mit drei Stichworten verbunden, die eine Orientierung bei der Meditation geben sollten: Wenn man das Labyrinth betritt, sollte man seinen „Rucksack“ auspacken und seine Last für die Dauer des Weges durch das Labyrinth beiseite stellen (1. relieve – entlasten). Man durchläuft das Labyrinth, um etwas zu empfangen. Erreicht man sein Zentrum, hat man symbolisch nicht nur sein Gepäck zurückgelassen, man ist auch bereit, etwas zu empfangen (2. receive – empfangen). Nun geht man den Weg wieder zurück und so, wie an jeder Wendung des Labyrinths die Last einer Lebenswendung abgelegt wurde, können diese nun wieder aufgenommen werden, wobei sie aber in einem neuen Licht erscheinen. Schließlich hat man gemeinsam mit Gott daraufgeschaut, so dass sich Dingen nun lösen können, und der Weg für heilsame Entscheidungen frei ist (3. resolve – lösen, entscheiden). Hier nun mein Vorschlag, eine Fußgängerbrücke als Meditationslabyrinth zu nutzen:

Ein Labyrinth ist kein Irrgarten. Ein Labyrinth hat zwar einen verschlungen Weg, aber er ist eindeutig, so dass man sich nicht verirren kann. Meistens führt der Weg eines Labyrinths in sein Zentrum und man geht denselben Weg wieder heraus, den man gekommen ist. Manche Labyrinthe sind aber auch so angelegt, dass man einen anderen Weg aus ihrer Mitte herausgeführt wird. Man geht also nicht zurück sondern einfach weiter. Labyrinthe finden sich in Klostergärten, als Fußbodengestaltung in Kirchen oder auch an manchen anderen Orten. Sie laden ein, abgelaufen zu werden, um an ihren Wendungen die Wendungen seines eigenen Lebens zu bedenken. Wer sich darauf ein- und dazu Zeit lässt, dem bietet sich die Chance, nicht nur die Mitte des Labyrinths zu erreichen, sondern vielleicht auch etwas von der Mitte seines Lebens wahrzunehmen und dort einen Moment der Begegnung mit sich selbst und mit Gott zu erleben.

Meines Wissens gibt es in der Stadt Brandenburg an der Havel kein Labyrinth. Allerdings habe ich eine überraschende Alternative entdeckt, die sich für mich für einen Meditationsweg als durchaus geeignet erwiesen hat. Es ist die Fußgängerbrücke am Bahnhof. Nimmt man von der Bahnhofseite kommend nicht den kurzen Weg über die Treppen, findet man dort einen recht langen und gewundenen Aufstieg. Es gibt hier eindeutig mehr Lärm und viel mehr Ablenkung als in einem Klostergarten, aber mich regt das eher an. Gut gefällt mir auch der leichte Anstieg, der mich auch auf einer körperlichen Ebene daran erinnert, dass es Dinge gibt, die eben Mühe machen. Bei diesem Anstieg bleibe ich an den Wendungen stehen und versuche mir selbst jeweils eine Sache bewusst zu machen, die ich gerade in meinem Leben mühsam finde. Für das nächste Mal nehme ich mir vor, Klebezettel mitzubringen, um ein Stichwort hinterlassen zu können. Als Ziel, quasi als Mitte des Labyrinths, steuere ich den Ort auf der Brücke mitten über den Gleisen an. Dort angekommen konzentriere ich mich trotz aller Geschäftigkeit um mich herum darauf, dass ich jetzt hier bin und auch Gott da ist. Ich versuche mich für seine Gegenwart zu öffnen. Ich erwarte einen Impuls von ihm, etwas, das er mir zeigt und ich von ihm em­pfange.

Der Rückweg hat etwas Gefälle und geht leichter. Ich sammele an den Wendungen meine Gepäckstücke symbolisch wieder ein und versuche jeweils eine bewusste Entscheidung zu treffen, wie ich jetzt mit dieser Mühe umgehen möchte. Wie viel Zeit dabei vergangen ist? Ich weiß es nicht.

Für den Artikel in der MAZ wird immer auch ein Foto gebraucht. Deshalb hatte ich eine ganze Bildserie von der Fußgängerbrücke damals fotografiert, auch wenn in der Zeitung ja immer nur ein Bild erscheinen kann. Es war wohl der 28. Januar 2017, ein klarer, frostiger Wintertag. Ich habe zehn Bilder aus der Serie zu einer Galerie auf unserer Homepage zusammengestellt.
Pastor Thilo Maußer