Hof

Blog der Hofkirche

Eine Frage der Gerechtigkeit

Die rasche Ausbreitung des Corona-Virus' stellt die gesamte Welt vor große Herausforderungen. In vielen Menschen hat sie erfreulich große Hilfsbereitschaft erweckt, die von einem ausgeprägten Gemeinsinn zeugen. Weil diese Haltung geschichtlich tief in den Wurzeln unserer Kultur verankert ist, hat sie das Potential, uns auch für die Zukunkt als Gesellschaft Identität zu geben und uns zu zeigen, wer wir sein können.
Jahnstraße 1 in Brandenburg an der Havel – der Zugang zum Hof, auf dem sich unsere Kirche befindet, ist zu. Denn zurzeit finden keine Gottesdienste statt.

Die Kirchentür ist zu und bleibt es wohl auch noch auf unbestimmte Zeit. Das fordert uns Christen sehr heraus. Denn es ist ein Ur-Impuls unserer Christus-Beziehung, sich zu treffen, um gemeinsam zu beten und auch das Abendmahl zu feiern. In Krisen stecken aber auch immer Chancen. Eine Möglichkeit sehe ich darin, die Gebetsspiritualität des sprichwörtlichen »stillen Kämmerleins« in neuer Weise zu erforschen (Bergpredigt – Matthäus 6,6).

Zur Zeit Dietrich Bonhoeffers ist die Ausübung des Glaubens in einer anderen Hinsicht in die Krise geraten, aber vielleicht hilft uns sein Vorschlag von damals, mit der Krise heute umzugehen: Konzentriert euch aufs Beten und darauf, das Gerechte zu tun! Beten ist auch interessant, aber hier soll es jetzt um Gerechtigkeit gehen. In der Bibel bedeutet Gerechtigkeit definitiv nicht, dass jeder und jedem das gleiche zusteht. Besonders im Alten Testament wird der Mensch als gerecht bezeichnet, der seine Möglichkeiten in die Gemeinschaft vor Ort zum Wohle aller einbringt. Das bezieht sich sowohl auf Materielles wie auch auf die Fähigkeit, Lösungen für Probleme und Herausforderungen zu finden. Letzteres beinhaltet auch die kommunikative Kompetenz, Ideen so einzubringen, dass sie Gehör finden.

Diese Grundhaltung und das mit ihr verbundene Bildungsideal stellten praktisch einen ethischen Konsens in der gesamten klassischen Antike dar. Während Griechen und Römer hier vor allem von Tugend sprachen, forderte in Ägypten die Ma’at zu solch einem Verhalten auf. In der Bibel wird das Ideal solch einer Einstellung zum Gemeinwesen in den Begriffen gebündelt, die üblicherweise mit Weisheit und eben Gerechtigkeit übersetzt werden. Es ist nicht falsch, bei Weisheit an Bildung und bei Gerechtigkeit an Solidarität im besten Sinne zu denken.

Bildung ist zurzeit nötig, um z.B. zu verstehen, dass man bereits andere mit dem Corona-Virus anstecken kann, wenn man sich selbst noch gar nicht krank fühlt. Solidarität kommt zum Tragen, wenn man persönliche Kontakte meidet, weil man sich für die Gesundheit der anderen mitverantwortlich fühlt. Solch praktischer Einsatz von Bildung und des solidarischen Verantwortungsgefühls füreinander bieten unserer Gesellschaft in dieser Krise die Chance, ein neues Gefühl dafür hervorzubringen, wer wir sind und was wir als Gemeinschaft sein können. Kurz: Es stiftet Identität bei aller Vielfältigkeit und das finde ich sehr attraktiv für unsere Zukunft. Pastor Thilo Maußer